unser alter Olivenbaum

Erst im Februar sollten wir unser Häuschen in Dolceacqua wiedersehen. Einige Arbeiten, die zuhause anstanden, hielten uns davon ab, eher zu kommen.

Mit Carlo hatten wir ausgemacht, dass die Oliven geschnitten werden sollten.

Er hatte mit Luca und Familie, den vorherigen Besitzern unseres Grundstücks,  schon ausgemacht, dass die Bäume schneiden würden. Als Gegenleistung sollten sie das Holz bekommen. Für uns sollten sie einen Teil zurücklassen Olivenholz ist Gold wert, auch weil die meisten Bauern und Hausbesitzer in der Gegend um Dolceacqua mit Holz heizten. 

Wir hatten schon vor unserer Abreise im September zugestimmt, in der Annahme, dass Fachleute ans Werk gingen. Man sagt ja immer die Kettensäge sei der Freund der Olive, denn ohne regelmässigen Schnitt, gibt es keine Ernte.

Der Schnitt allerdings muss gekonnt sein, luftig, symmetrisch, sodass ein Vögelchen durchfliegen kann…

mir kamen die Tränen

Als wir ankamen sah ich schon mit Schrecken das Ergebnis. Die Bäume waren in meinen Augen furchtbar zugerichtet, gestutzt und verstümmelt… Die Terrassen mit ihren hohen, alten Olivenbäumen wie wir sie geliebt hatten, boten ein trauriges Bild. „Wie haben sie die nur zugerichtet“, schluchzte ich unter Tränen. Es war wie ein böser Traum, am liebsten wäre ich davon gelaufen. „Das kann man nie wieder gutmachen“, klagte ich, „ohne einen Sinn für Ästhetik haben sie die armen Oliven gekappt. Sie wollten nur das Holz, davon bin ich überzeugt,“ wetterte ich. 

der alte, wilde Olivenhain
so war es einmal…

Bastian nahm mich in die Arme: „Beruhige Dich doch, mein Liebling, wir können es nicht mehr ändern, es ist schon geschehen…“ Morgen können wir mit Carlo reden und ihm unsere Meinung sagen. Komm ins Haus, auf diesen Schrecken müssen wir erstmal ein Schlückchen zu uns nehmen.“

Beim Gläschen Grappa beruhigten sich unsere Gemüter. Unwillkürlich fiel mir im Zusammenhang mit unseren gestutzten Oliven ein Gedicht von Hermann Hesse ein, das ich aus Schulzeiten noch auswendig kannte. Ich zitierte es für Bastian:

Gestutzte Eiche

Wie haben sie dich, Baum, verschnitten,

Wie stehst du fremd und sonderbar !

Wie hast du hundertmal gelitten,

Bis nichts in dir als Trotz und Wille war !

Ich bin wie du, mit dem verschnittnen,

Gequälten Leben brach ich nicht

Und tauche täglich aus durchlittnen

Rohheiten neu die Stirn ins Licht.

Was in mir weich und zart gewesen,

Hat mir die Welt zu Tod gehöhnt,

Doch unzerstörbar ist mein Wesen,

Ich bin zufrieden, bin versöhnt,

Geduldig neue Blätter treib ich

Aus Ästen hundertmal zerspellt,

Und allem Weh zu Trotze bleib ich

Verliebt in die verrückte Welt

Hermann Hesse

„Die Olive ist wie die Eiche ein Lebensbaum,  Symbol für Kraft und Dauerhaftigkeit,“ sinnierte Bastian. „Vielleicht wird doch noch alles gut…

Fortsetzung folgt